Differentielle Psychologie 1/defaultsite
Inhaltsverzeichnis
- 1 Intelligenztheorien
- 1.1 Kompetenz-Performanz Problem
- 1.2 Gliederungsmöglichkeiten der Intelligenztheorien (Sternberg):
- 1.3 Intelligenzdefinitionen
- 1.4 Historische Entwicklung
- 1.5 3 Stufen der Intelligenztheorien-Evolution (Sternberg, 1990)
- 1.6 Korrelative Intelligenztheorien
- 1.7 Experimentelle Intelligenztheorie
Intelligenztheorien
Kompetenz-Performanz Problem
- Fähigkeiten sind Persönlichkeitseigenschaften, die Leistung ermöglichen
- Leistungen sind Ergebnisse von Handlungen & bewertbar (gut/schlecht)
Nur bei gleicher Motivationsstärke ist die Leistung ein geeignetes Mass für Fähigkeit
gute Testsituation (Max Anstrengung d. Vpn):
- Über- / Unterforderung vermeiden, Gute Leistungen belohnen, Genaue Instruktionen geben
- Testwiederholungen → Maximalleistung bester Schätzer für Fähigkeit
Gliederungsmöglichkeiten der Intelligenztheorien (Sternberg):
- Expliziter Zugang (auf empirischer Evidenz aufbauend)
- Impliziter Zugang (welche Verhaltensweisen bringen Menschen mit Intelligenz in Verbindung)
z.B. Laien (Sternberg 1981): Praktische Problemlösefähigkeit, Verbale Fähigkeit, Soziale Kompetenz
- korrelative Ansätze (differentialpsychologisch)
- experimentelle Ansätze (allgemeinpsychologisch)
Intelligenzdefinitionen
- Boring (1923): "Intelligenz ist, was ein Intelligenz Test misst"
unzweideutige Kommunikationsbasis - Anastasi (1958): "Unsere Intelligenztests messen nur die Fähigkeit in unserer speziellen Kultur erfolgreich zu sein"
Nicht ganz richtig → erfolgreicher ≠ intelligenter, IQ sollte auch auf andere Kulturen übertragbar sein - Wechsler (): "Intelligenz ist die Fähigkeit zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit der Umwelt wirkungsvoll auseinanderzusetzen"
sinnfreie Tautologie - Stern (1912): "Intelligenz ist die allgemeine Fähigkeit des Individuums, sein Denken bewusst auf neue Forderungen einzustellen; sie ist die allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedinungen des Lebens"
Hofstätter (1977): Auffindung von Ordnungen
- Dummheit erster Art:
richtige H0 wird abgelehnt - Erkennen von Ordnung, wos keine gibt - Dummheit zweiter Art: → Intelligenztest misst das
falsche H0 wird irrtümlich akzeptiert - Vorhandene Ordnung nicht erkannt - Intelligenz braucht man zum Auffinden innerer Ordnungen, äussere kann man mit Analysatoren messen.
- Persönlichkeit beeinflusst Intelligenz
Vernon (1979): Bereiche der Intelligenz
- Biologische Funktion:
• Flexible Anpassung an die Umwelt: phylogenetische Entwicklung → Intelligenzunterschiede
• zunehmende Flexibilität: Lernfähigkeit - Einsicht - Integration sensorischer Infos - Generalisaton auf neue Materialien und Situationen - Begriffsbildung - Abstraktion
• Reflexe (unbewusste Organreaktion), Instinkte (angeborene Verhaltensweisen als Reizreaktion oder spontan)
• Sicherheit der Verhaltenssteuerung durch Reflexe und Instinkte geht mit zunehmender Flexibiltät verloren
- Soziale Funktion:
• Intelligenz und Sozialstatus ist positiv korreliert
• Soziale Aufsteiger / Führer sind meist überdurchschnittlich intelligent
- Psychometrische Intelligenz:
• Diagnostische Gültigkeit von Intelligenztests
• Bestimmung der Art und Anzahl von Faktoren
Historische Entwicklung
- Sinnesprüfungen
Galton et al., nur minimale Korrelation - Erster Intelligenztest von Binet
Aggregationsprinzip: reliablere Messung durch Mittelung d. Messwiederholungen - Entwicklung des IQ (Stern / Wechsler)
Uneinigkeit - intellektuelle Fähigkeit: monistische vs. pluralistische Konzepte
3 Stufen der Intelligenztheorien-Evolution (Sternberg, 1990)
- Stufe 1:
• monistische Theorie - Intelligenz als eine Einheit
• pluralistische Theorie - Intelligenz als Produkt unabhängiger Prozesse - Stufe 2: Intelligenz, Zusammensetzung mehrerer Komponenten:
• Hierarchisch
• Multifaktoriell (Überlappung möglich) - Stufe 3: Integration 1&2
• Intelligenz als globales Konstrukt und Zusammensetzung aus unabhängigen und abhängigen Komponenten
Korrelative Intelligenztheorien
Monistische Intelligenztheorie
Generalfaktortheorie - Spearman
- Ziel: Gemeinsames Element aller mental tests ermitteln
- Testung 24 Schulkinder, 2 Variablen
• Sensorische Diskrimination
• Intelligenz - geringe Korrelation → Messungenauigkeiten vermutet
- Entwickelt Verdünnungsformel, setzt aber statt hoher Reliabilitäten mittlere Interkorrelationen ein
- Schluss: Grundlegende Fähigkeit → g - Faktor
- Jedes Intelligenzmass hat g-Faktor (general intelligence) und s-Faktor (Test spezifisch)
Verdünnungsformel (Spearman)
- Wahren Zusammenhang erhält man, wenn man empirisch ermittelte Korrelation durch das Produkt der Wiederholungsreliabilitäten der beiden Tests dividiert.
• r(xy)*=r(xy) / Wurzel aus r(x x') * r(y y') - hatte damals Anwendungsfehler, setzte mittlere Interkorrelationen ein und r > 1
Theorie der Intelligenz (Spearman)
- Erstes kognitives Prinzip
apprehension of experience
• passive "mental states"
• aktive "cognitive acts" - Zweites kognitives Prinzip
• "education of relations" - Ableitung und Kenntnis von Beziehungen
• Beziehungen perzeptiver od. mentaler Natur, die aufeinander aufbauen
- Drittes kognitives Prinzip
• "education of correlates" - Gemeinsame Betrachtung von Inhalten und Relationen führt zum automatischen Evozieren von zusammenhängenden Inhalten
Multifaktorielle Intelligenztheorien
Primärfaktorentheorie - Thorstone
"Primary Mental Abilities" Beim Lösen von Denkaufgaben sind immer mehrere Gruppenfaktoren mit unterschiedlicher Gewichtung beteiligt
Entwicklung von Multipler Faktorenanalyse und Kriterium der Einfachstruktur.
Grundlage für LPS, PSB, IST...
Zuerst 9 dann 7 Primärfaktoren:
- Space (Raumvorstellung):
• Visualisation (Veranschaulichung)
• Spatial relations (räumliche Lagebeziehungen) - Number (Rechnen)
- Verbal comprehension (sprachliche Intelligenz)
- Word fluency (Wortflüssigkeit)
- Memory (Behalten paarweise gelernter Assoziationen)
- Reasoning
• Deduction (vom Allgemeinen aufs Besondere schliessen)
• Induction (vom Besondern aufs Allgemeine) - Perceptual speed (Wahrnehmungsgeschwindigkeit)
- Speed of closure (Gestaltschlussgeschwindigkeit - bruchstückhafte Bilder)
- Flexibility of closure (Umstrukturierung und Wandlung von Gestalt - Umsprungbilder)
SOI | Structure of Intellect Modell - Guilford
Faktorenanalyse zur Hypothesenprüfung a priori theoretisiertes S-I Modell.
Beteiligung kognitiver Operationen (5), Produkte (6) und Inhalte (4)
→ 120 Intelligenzfaktoren, Kritik: die leider nicht wie postuliert unabhängig sind, sich also reduzieren lassen sollten
viele aktuelle Forschungsansätze basieren darauf
Frames of Mind - Gardner
"Theorie multipler Intelligenzen" an Guilford, Thurstone → Unterschied:
- Erweiterung auf neue Felder
- Integrative Natur (Berücksichtigt neue Wissenschaftsgebiete)
- Autonomie der Intelligenzen
- Offenheit für Erweiterungen
Unterteilt in multiple Intelligenzen: räumliche, linguistisch, logisch, musikalisch, personal (inter-, intra-)
Nachweismöglichkeiten:
- neuropsychologisch: Läsionen...
- kognitionspsychologisch: genetisch programmierte I/O, Kernoperationen identifizieren
- entwicklung: phylogenetisch (Entwicklung der Intelligenz im Lauf der Evolution), ontogenetisch (einseitige Hoch- / Minderbegabung)
- quantitativ-psychologischer Nachweis: experimentalpsychologisch (Eigenständigkeit der Intelligenzen), psychometrisch (Nullkorrelation zu anderen Bereichen)
Hierarchische Intelligenztheorien
Modell Vernon
Hierarchische Ordnung der Faktoren in 4 Ebenen:
- Spezifische Faktoren (kennzeichnet jeweiligen Test)
- Untergruppenfaktoren (fluency, writing, verbal comprehension, number, perzeptive Fähigkeit)
- Hauptgruppenfaktoren (verbal-edukativ, kinätisch-motorisch, induktive Fähigkeit)
- Höchster Allgemeinheitsgrad g-Faktor
Faktor dominiert immer Untervariablen, Korrelationen werden geringer
Modell Cattel
g-Faktor wird erschlossen durch Interkorrelation von Sekundär und Primärfaktoren
- Faktoren 1. Ordnung → Primärfaktoren (individueller Anteil pro Person an gemeinsamen Faktoren)
- Faktoren 2. Ordnung → Sekundärfaktoren (ergeben sich nach 2. Faktorenanalyse)
• Gf - Fluid Intelligence: Fähigkeit sich auf neue Situationen einzustellen, Lernen hat kaum Einfluss, culture-fair messbar, starker Altersabbau)
• Gc - Cristal Intelligence: Fähigkeit in der sich kummulierte Effekte früherer Lernprozesse kristallisieren, sprach- und kulturabhängig und mileubedingt, geringer Altersabbau - Extraktion eines Faktors 3. Ordnung möglich, da mehrere Primärfaktoren auf Gf, Gc laden
Erweitertes Cattel - Modell durch Horn
Entdeckt zusätzliche Faktoren zu Gf und Gc mittels Faktorenanalyse:
- Gv - Visuelle Informationsverarbeitung (Visualisieren, mentale Rotation)
- Ga - Auditive Informationsverarbeitung (Rythmus-Gefühl)
- Gs - Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung
- Gq - quantitative Fähigkeit
- Gsm - Kurzzeitgedächtnis
- Glm - Langzeitgedächtnis
- CDS - Schnelligkeit der Beantwortung schwieriger Fragen
durch Gustafffson 1989 mittels konfirmatorischer FA bestätigt
Integrative Intelligenztheorien
Berliner Intelligenz-Strukturmodell (Jäger, 1984)
Vorgehen ist hypothesengeleitet und methodenkritisch, vereint Spearman, Thurstone, Guilford und allgemeine Erkenntnisse der Intelligenz Forschung.
- Ausgangspunkt: Katalogisieren aller Aufgaben der I.- und Kreativitätsmessungen - Reduktion auf 191 Blöcke a 98 Aufgaben
- Datenerhebung: 545 Vpn., 191 Variablen, 15 Std in 3 Tagen
- = 4 Operationsfaktoren: Bearbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, Einfallsreichtum, Verarbeitungskapazität
- = 3 Inhaltsfaktoren: figural-bildhaft, verbal, numerisch
- Die Faktoren entsprechen Sekundärfaktorenniveau
- Multifaktoriell bedingte Leistungen laden je auf einen inhaltsgebundenen und einen operativen Faktor
- g-Faktor wird durch 12 Operations-Inhalts Kombinationen repräsentiert → B-I = bimodal, hierarchisch
Experimentelle Intelligenztheorie
Monistische Ansätze
Biologische Korrelate
Biologische Parameter werden Gesamtmaß von IQ gegenübergestellt.
Begann 1850, jedoch damals keine Ergebnisse aufgrund fehlender Methoden
- Kopfgröße - Intelligenz: r=0,191
- Hirnvolumen - I: CT, MRT: r=0,381, keine Alters- und Geschlechtsunterschiede
- Hirnvolumen steigt als Folge von Erfahrung → höhere Neuronenzahl → höhere Synapsenzahl → höhere kogn. Kapazität, Unterschiedliches Ausmaß an Myelinisierung
- ERP - Intelligenz: Endogene Komponente wies 0,25-0,41 für P300 Latenzen auf, für P300 Amplituden noch unklar
- Intelligentere Personen haben kürzere Entscheidungszeiten, da schnellere Verarbeitung
- Nervenleitgeschwindigkeit (NVC nerve conducting velocity): uneindeutige Ergebnisse, da Geschwindigkeit nach Körperregion verschieden
- Glukosemenge - I (GMR Glucose metabolism rate):
Bei dementen GMR corr. mit IQ = 0,64
bei Gesunden: GMR und kogn. Aufwand positiv korreliert, GMR und Leistung innerhalb eines Aufgabentyps negativ korreliert
Hierarchische Intelligenztheorie
Modell Sternberg
basiert auf experimental-, kognitionspsychologischem bzw. informationsverarbeitendem Ansatz:
3 Bereiche intelligenten Verhaltens:
- Komponenten der inneren Welt:
• Metakomponenten (übergeordnete Strategiekomponenten): Problemkenntniss, Enkodierung, Auswahl v. Repräsentationsart / Lösung
• Ausführungskomponenten: Ausführung von Instruktionen auf Basis der Metakomponenten, Feedback über Fortschritt d. Problemlösung
• Wissensaneignungskomponenten: Erwerb des für Meta- und Ausführungsk.benötigten Wissens, um selektiv zu encodieren, Infos zu kombinieren und Einheiten zu vergleichen - Erfahrung (Bestandteile der inneren und äusseren Welt vermitteln):
• Fähigkeit mit relativ neuem umzugehen (jünger besser)
• Informationsverarbeitung automatisieren (älter mehr) - Kontext
• Anpassung an die Umwelt, sozialschicht- und kulturspezifisch unterschiedlich; westliche Kultur: abstrakt Denken, Aborigines: figurales Denken
• Shaping der Umwelt, wenn Anpassung an die Umwelt nicht gelingt, wenn Shaping auch nicht klappt
• Wechsel der Umwelt
Modifikation legt Schwerpunkt auf das Finden einer individuell funktionierenden Balance, in drei Intelligenzbereichen: praktischer, analytischer und kreativer Intelligenz im Sinne eines soziokulturell definierten Erfolgskriterium "success"
PASS - Theorie (Das, Nagri, Kirbi)
Kognitionspsychologisch ausgerichtet mit neuropsychologischer Fundierung
Unterschied zu anderen Modellen:
- Betrachten dynamische kognitive Prozesse (anstatt statischer Fähigkeiten)
- Theoretische neuropsychologische Fundierung
- Performanz hängt von Effizienz kognitiver Prozesse ab
4 Kognitive Prozesse auf hohem Abstraktionsniveau:
- Aufmerksamkeit auf kognitive Ressourcen fokussiert:
• Daueraufmerksamkeit (monotone Tätigkeit)
• Selektive Aufmerksamkeit (auf bestimmte Reize gerichtet)
• Distributive Aufmerksamkeit (auf Reizgruppen gerichtet)
Hirnstamm als neuronales Korrelat, besonders die formatio reticularis (Orientierungsreaktion, Moderator beim Auftreten neuer Reize)
• expressive Aufmerksamkeit
• rezeptive Aufmerksamkeit
Differenz der Reaktionszeiten zwischen leichten und schweren Aufgaben fungiert als Indikator für die Aufmerksamkeitsmenge. - Simultane Kodierungen
Relationen zwischen Infos werden kodiert. Ergebnis ist holistische Informationseinheit im KZG; Reihenfolge der Einzelelemente ist unwichtig - Sukzessive Kodierungen
Sammlung sequentieller Informationseinheiten, Reihenfolge ist wichtig, z.B. Tanzschritte - Planung
Hierarchisch übergeordneter kognitiver Prozess, Entwicklung einer richtigen und effizienten Strategie steht im Vordergrund, Bsp: visuelle Suchaufgaben